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Grundgedanke einer repräsentativen Demokratie ist, dass der Wähler einen Repräsentan-ten auf Zeit mit politischer Macht ausstattet. Handelt der gewählte Volksvertreter im Sinne der Mehrheit, hat er gute Chancen wiedergewählt zu werden. Tut er dies nicht, muß er damit rechnen, nicht wieder gewählt zu werden. Bei uns ist das ein wenig anders:

Der Wähler hat bei Bundestagswahlen zwei Stimmen.

Mit der ersten Stimme wählt er den Direktkandidaten im Wahlkreis. Mit der Zweitstimme trifft der Wähler eine Auswahl unter den Landeslisten von verschiedenen Parteien. Während der Wähler die Nominierung der Direktkandidaten in der lokalen Presse verfolgen kann, hat er keinen Einblick in die Entstehung der Landeslisten. Hier entscheiden nämlich Landeswahlversammlungen der Parteien über die Reihenfolge auf den Landeslisten. Fast überall in den Landesparteien werden dabei Reißverschlussverfahren angewandt: man achtet dabei z. B. auf konfessio-nelle oder landsmannschaftliche Repräsentanz oder orientiert sich an Frauenquoten oder der Zugehörigkeit zu unterschiedlichen Lagern innerhalb der Partei. Das kann der Wähler kaum durchschauen. Schaut man sich die Landeslisten der Parteien genauer an, dann tauchen dort die Namen auch von Kandidaten auf, die bereits als Direktkandidaten zur Wahl stehen. Diese Politiker sichern sich über die Landeslisten für den Fall ab, dass sie nicht direkt gewählt werden. Werden sie jedoch direkt gewählt, dann machen sie anderen Kandidaten auf der Liste Platz. Ein direkt gewählter Repräsentant kann sich also der demokratischen Kontrolle durch den Wähler im Wahlkreis dadurch entziehen, dass er sich auf die Auswahlverfahren für die Landeslisten konzentriert.
Die zweite Kammer - der Bundesrat - wird entsprechend unserer föderalen Struktur in nahezu allen politischen Dingen in den Gesetzgebungsverfahren beteiligt. Der Wähler hat nur einen indirekten Einfluss auf seine Zusammensetzung. In Landtagswahlen bilden sich entsprechend dem Wählervotum die Länderparlamente. Sie bestimmen die Zusam-mensetzung der Länderregierungen. Diese wiederum haben eine bestimmte Anzahl von Stimmen im Bundesrat. Scheitern Landesregierungen, dann hat der Wähler die Möglichkeit durch Neuwahlen für einen Neuanfang zu sorgen. Daraus entsteht nun ein Problem. Die Termine für Landtagswahlen lassen sich nicht koordinieren. Bei zehn Bundesländern und einer 48-monatigen Legislaturperiode des Bundestages finden also grob gerechnet alle 5 Monate Landtagswahlen statt. Bei 16 Bundesländern verkürzt sich der politische Zeithorizont einer Bundesregierung auf ungefähr drei Monate. Jede Landtagswahl kann also das Stimmverhältnis im Bundesrat ändern. Das sorgt für politische Instabilität.

Die Machtfrage

Über den Bundesrat wird die Exekutive entscheidend und bestimmend in den Gesetzge-bungsprozess eingebunden. Im Jahre 1976 zählte man bereits über 1000 Bund-Länder-Kooperationsgremien. Es gibt so gut wie kein politisches Problem, das nicht vor seiner parlamentarischen Beratung in diesen Gremien vorbereitend behandelt wird. Versetzen wir uns in die Lage eines Referenten in einem Bundesministerium, der im Auftrag seines Mini-sters eine Gesetzesvorlage zur Lösung eines bestimmten Problems erarbeiten soll. Scheitert er mit seiner Lösung an der Zustimmung in beiden Kammern, dann wirkt sich das sicherlich nicht karrierefördernd aus. Er muß also die Regierungsfraktionen im Bundestag und die Referenten in den Länderverwaltungen überzeugen. Die Bürokraten aus den Ländern erfahren in diesen Kooperationsgremien früh von Gesetzesvorhaben. Sie reden also ein wichtiges Wort dabei mit, ob das anstehende Problem in der vom Referenten erarbeiteten Option überhaupt in die beiden Kammern kommt.
Politische Probleme werden nur dann abschließend im Bundestag behandelt, wenn sich Mehrheiten in den betreffenden Bund-Länder-Gremien finden. So gewinnen die Bürokraten großen Einfluss auf die Arbeit des Gesetzgebers. Wirksame „checks and balances“ zwischen den Verfassungsgewalten gibt es also nicht.
Hinzu kommt die Informationsasymmetrie zwischen Bürokratie und Legislative. Der Parlamentarier - egal ob im Bundestag oder in irgendeinem Landtag - entscheidet über Optionen, die ihm von der Bürokratie vorgelegt werden. Über diese faktische Entmachtung der Parlamentarier wird in der Öffentlichkeit nur wenig gesprochen. Auch die Unterordnung der vielfältigen Informationsbeschaffungsbehörden (Umweltbundesamt, amtliche Statistik und dergleichen) unter die Ministerien wird selten thematisiert. Es gilt folgender Sponti-Spruch: Wissen ist Macht – Wir wissen nichts - Macht nichts.

Die Exekutive

Die Exekutive bestimmt also die politische Tagesordnung. Gesetzesvorhaben aus dem Kreis der Parlamentarier fallen kaum noch ins Gewicht. Bund und Länder einigen sich in diesem Verfahren zunehmend zu Lasten der Gemeinden. Letztere sind allenfalls über Vertreter der Kommunalen Spitzenverbände in den Bundesratsgremien über diese Lösungsansätze informiert worden, sie haben kein Mitspracherecht. Bund und Länder präferieren politische Lösungen, die dann von den Gemeinden finanziert werden („wir finden einen Dritten, der die Sache bezahlt”).

Bürokraten werden zu Wahlkampf-Managern

Die Referenten in den Ministerien erobern neue Arbeitsfelder. Sie kommen auf ein neues Spiel: es nennt sich Mischfinanzierung. Man richtet Budgets für ganz bestimmte politische Aufgaben ein, mit denen man wählerwirksam Politik machen kann. Das gilt für Bundes- und Länderbürokraten – und auch in Brüssel findet man solche Fördermitteltöpfe.
Die Erarbeitung von Fördermittelrichtlinien, die Überprüfung von Fördermittelanträgen und die Auszahlung der Budgetmittel schafft Beschäftigungsmöglichkeiten für die oligopolistisch organisierte Bürokratie. Es entstehen Listen von geförderten Projekten, die Bundes- und Länderminister gerne für Wahlkampfauftritte in den Wahlkreisen nutzen. Diese Listen werden unter politischen Verbündeten auch gehandelt. Gehen die Fördertöpfe zur Neige, dann erreichen die Bürokraten über Nachfragestimulierung die karrierefördernde Budgeterweiterung und treffen damit auf Zustimmung bei den Fördermittelempfängern. Die volkswirtschaftliche Wirkung dieser Methode ist fatal: Kommunalbürokraten begeben sich auf die Jagd nach Fördermitteln und konfrontieren ihre Gemeinderäte mit einem einfachen Argument: „Für dieses Projekt bekommen wir aus Brüssel 10 Mio. €, aus Berlin 15 Mio. € und das Land gibt 10 Mio. €. Wir selbst müssen einen Eigenbetrag von nur 5 Mio. € aufbringen.“ Das Projekt findet die begeisterte Zustimmung der Gemeinderäte, nur gibt es einige Jahre später einige Probleme mit den laufenden Kosten der Unterhaltung und Instandhaltung. Insgesamt macht dieses Spiel allen Beteiligten viel und macht sie zu Fördermittelzockern. Man kommt nicht auf den Gedanken, dass die Budgetprobleme der Kommunen mit der Teilnahme an diesem Spiel in Zusammenhang stehen.
Ein typisches Beispiel erleben wir schon seit Jahrzehnten im Zusammenhang mit dem Wohnungsleerstand in ostdeutschen Plattenbauten. Leerstehende Wohnungen bringen Verluste. Nimmt der Leerstand zu, dann kann der Vermieter wieder in die schwarzen Zahlen kommen, wenn er seinen Bestand reduziert. Nun kommen Bund und Länder auf dieses Thema. Es werden Fördermittelprogramme aufgelegt, die den Abbau von Leerstand durch Subventionen fördert.
Man veranstaltet gemeinsam „Stadtumbau-Wettbewerbe“. Die ostdeutschen Großvermieter stoppen den Abbau und reduzieren ihre Wohnungsbestände nur, wenn Subventionen gezahlt werden. Jetzt wird daraus ein volkswirtschaftliches Problem: Investoren in wertvollen Altbaubeständen denken angesichts niedriger Mieterlöse nicht mehr an Modernisierung. Die Städte und letztlich der Steuerzahler zahlen einen hohen Preis. Unter diesen Bedingungen werden die Bürokraten zu Ansprechpartnern der vielfältigen Interessenverbände. Die politischen Überzeugungskosten der Verbände reduzieren sich beträchtlich. Mit jedem neuen Fördertopf und mit jeder Sonderregelung, die sie so für ihre Klientel erreichen, steigern die Verbandsfunktionäre ihre Chancen bei der Wiederwahl in Verbandsgremien. Das sind die Spiele, bei denen Interessenverbände, Bürokraten und Politiker auf allen Staatsebenen nur gewinnen können. Der Steuerzahler zahlt die Zeche. Die oligopolistisch organisierten Bürokratien stehen in einem Wettbewerb um knappe Budgetmittel und es herrscht stillschweigende Übereinkunft.

Deshalb ist es im Interesse des Gemeinwesens notwendig, über neue Ansätze nachzudenken. Der Vorschlag, Bundestags- und Landtagswahlen auf einen Termin zu legen, um den Horizont der Bundesregierung zu erweitern, kann nicht tragen. Landtagen muss es möglich sein, unfähige Landesregierungen mit parlamentarischen Mitteln zum Rücktritt zu zwingen, ohne die bundeseinheitlich festgesetzten Wahltermine abzuwarten. Die notwendige Lösung kann auch nicht in einer Neuauflage der Weimarer Notverordnungspraxis liegen.

Notwendige Verfassungsänderung

Der entscheidende Ansatz ist vielmehr eine Verfassungsänderung, die dem Wähler die Auswahl der Repräsentanten beider Kammern überträgt. Wir brauchen neue „Spielregeln“: Mit der Erst-Stimme bestimmen wir den Vertreter des Wahlkreises im Bundesrat und wir können auch überprüfen, wie er sich in bestimmten politischen Fragen entschieden hat. Mit der Zweit-Stimme entscheiden wir über die Zusammensetzung des Bundestages. Dann muß es zu einer klaren Abgrenzung von Aufgaben und deren Finanzierung zwischen Bund und Ländern kommen. Die Kommunen können über den direkt gewählten Vertreter ihres Wahlkreises im Bundesrat ihren politischen Einfluss geltend machen. Damit stärken wir die politische Macht der Repräsentanten auf Bundes- und Landesebene und erhöhen die politischen Überzeugungskosten sowohl der bürokratischen Herrschaftskaste als auch der Interessenverbände. Letztere hatten ja bisher ein leichtes Spiel, weil sie sich in ihren Bemühungen um politischen Einfluss im wesentlichen nur auf die „eigene Besetzung“ in den Ministerien konzentrieren mussten. Die politischen Parteien werden durch die inhaltliche Erweiterung ihrer Gestaltungsspielräume neue Wege der Rekrutierung von Führungspersonal suchen müssen.