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Der Goldfischteich
Zum Artikel von Melanie Amann "Wenn keiner mehr verwalten will" (F.A.Z., "Beruf und Chance" vom 31. März): In der deutschen Verwaltung wurde über Jahrhunderte ein besonders antiquiertes Modell der Ausbildung von Verwaltungsnachwuchs gehegt. Gehobener und höherer Dienst werden in einem System reproduziert und gehalten, das dem altindischen Kastensystem vergleichbar ist. Der gehobene Dienst wird so ausgebildet, dass er dem höheren Dienst nicht gefährlich werden kann, und der Aufstieg von der einen in die andere Kaste wird strengstens reglementiert. Von diesem Modell will man auch heute nicht lassen: Viele Juristen haben etwas gegen die gegenwärtig diskutierte Modularisierung der Ausbildung in Bachelor- und Master-Studiengänge.
Das alte bürokratische Spiel der "Verteidigung des Arbeitsplatzes" wiederholt sich immer wieder. Agrarbürokraten, die über lange Zeit in Flurbereinigungsämtern die Landschaft zerstörten, werden zu Motoren der ökologischen Erneuerung, die nun wertvolle Biotope vernetzen. Wohnungsbaubürokraten, die mit sozialem Wohnungsbau und Gründung von neuen Städten entscheidend die Zerstörung städtischer Strukturen bewirkten, machen nun verantwortlich StadtumbauPolitik. Innenbürokraten, die das alte Ausbildungssystem der öffentlichen Verwaltung in Deutschland konservierten, legen nun "Goldfischteiche" in der Schulverwaltung an - in einem Bereich, der ihnen eigentlich fremd sein sollte.
Als nordrhein-westfälischer Wissenschaftsminister ließ Johannes Rau einen modernen verwaltungswissenschaftlichen Studiengang für die Landes- und Kommunalverwaltung mit wichtigen Vertiefungsrichtungen (Verwaltungsautomation, Regionalökonomik, Gesundheits- und Hochschulmanagement) planen. Dagegen gab es Widerstand von Finanz-, Justiz-, Innenministerium und Kommunen. Der Versuch scheiterte auch, weil Raus Staatssekretär, Herbert Schnoor, den Weg hin zu einer mo­dernen Verwaltungsausbildung nicht gehen wollte. Dann zog Rau in die nordrhein-westfälische Staatskanzlei, Schnoor wurde Innenminister und machte später Riotte zum Staatssekretär.
Schnoor und Riotte sind verantwortlich für das interne Modell des gehobenen Dienstes ohne moderne Ökonomik, Organisationswissenschaft, Informatik und empirische Sozialforschung (Statistik). Das Landesamt für Datenverarbeitung und Statistik behielt das traditionelle Arbeitsfeld der Weiterbildung. Im internen Modell dominieren Juristerei, juristische Klausurtechnik und jene Rechtsgebiete, die typisch für die alte Verwaltung sind (spezielles Verwaltungsrecht, Dienstrecht, das hoffnungslos veraltete kamerale Haushalts-, Kassen- und Rechnungswesen, Sozialhilfe- und Kommu­nal­recht). Diese Fächer werden von "Universitätsjuristen" nicht beherrscht, also kommen hier ne­benamtliche Praktiker zum Einsatz. Das altindische Kastenmodell wird weiter kultiviert. Die Distanz zwischen gehobenem und höherem Dienst - letzterer rekrutiert sich weiterhin aus Absolventen der juristischen Einheitslaufbahn (Stichwort: Befähigung zum Richteramt) - wird erfolgreich gewahrt.
Dreißig Jahre unterlassene Reform der Ausbildung des Verwaltungsnachwuchses hatten natürlich Folgen, die überall zu sehen sind: Gesamtschulen sind unübersichtliche Großorganisationen ohne effizientes Managementkonzept, Hochschulen wissen nicht, was Studiengänge eigentlich kosten, und veranstalten Ideenwettbewerbe für die Verwendung der ungewohnt anfallenden Studiengebühren, öffentliche Kliniken ohne wirksame betriebswirtschaftliche Steuerung halten mit privaten Klinikunternehmen nicht mehr mit.
Die Reihe der Versäumnisse in der Verwaltungsausbildung lässt sich beliebig fortsetzen. Nun fallen die Kienbaums, Accentures und McKinseys - mit ihnen wohl auch Riotte - wie Heuschrecken über die Relikte her.
Text: F.A.Z., 07.04.2007, Nr. 82 / Seite 21