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Vom Überleben der SED-Altkader

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Die Diskussionen in den Führungsgremien der SED im Dezember 1989 zum Verhältnis zwischen Partei und MfS, wie sie im Gespräch zwischen Wilke und Berghofer anklingen und nun auch juristische Schritte von Gysi zur Folge haben, können keine praktische Bedeutung für den Ablauf des Transformationsprozesses in der untergehenden DDR gehabt haben.
Die außerordentlich an Dynamik gewinnende Rette sich, wer kann-Bewegung ließ sich nicht mehr zentral steuern.
Was aber in den unzähligen Organisationseinheiten des implodierenden System genau ablief, wird wohl kaum ganz nachzuvollziehen sein. Auch im Einzelfall tun sich große Schwierigkeiten auf. Gleichwohl kann man bemerkenswerte gruppendynamische Prozesse beobachten, die das Ziel hatten, die personelle Kontinuität der alten Kader zu sichern. Vielleicht mit einer Ausnahme: die Abwicklung der Nationalen Volksarmee und die Überführung in die Bundeswehr kann man wohl als herausragendes Beispiel einer gelungenen Transformation bezeichnen. Hier hat ein klar durchdachtes Konzept vorgelegen, das geradezu generalstabsmäßig durchgezogen wurde.
Für viele andere Bereiche des straff durchorganisierten SED-Systems gilt das allerdings nicht. In DDR-Hochschulen hatten sich schon lange vor der Implosion des SED-Systems nachrangige Perspektivkader zu Seilschaften formiert. In MfS-Berichten werden sie als Frühstücksrunden bezeichnet. Geschickt nahmen sie vielfältigen Einfluss. Sowohl bei der Verteilung von Staatsplanmitteln für Forschungsthemen als auch bei Personalentscheidungen. Die MfS-Akten offenbaren den Einfluß dieser Seilschaften in den keineswegs harmonischen Beziehungen zwischen Hochschulministerium und SED-Kreisleitung. Das MfS war wichtiger Lieferant von Parteiinformationen, aber eben auch von Indiskretionen und Gerüchten, die einzelne Aspiranten zum eigenen Vorteil nutzten.
Die zuverlässigsten Informationen über den Zusammenbruch der SED-Herrschaft an Hochschulen finden sich wohl in MfS-Akten.
Hilfreich sind manchmal auch die Veröffentlichungen der Hochschulen nach der Neugründung. Allerdings sind sie nur mit großer Vorsicht zu verwenden.
Die SAPMO-Archivbestände kommen nicht in allen Fällen als zuverlässige Quellen in Betracht. SAPMO-Akten zur SED-Grundorganisation der Ingenieurhochschule Zwickau beispielsweise sind im Staatsarchiv Chemnitz nur bis zum Jahr 1986 verfügbar. Akten für die Zeit danach sind in der Nachfolgeeinrichtung in Zwickau gelagert. Zugang zu diesen Akten erhält man nur über den Kanzler der umprofilierten Hochschule. Dieser wiederum fungierte bis 1989 als wissenschaftlicher Sekretär des SED-Rektors. In der Zeit danach wirkte er an entscheidender Stelle in der neuen Hierarchie. Über ihn als Schaltstelle liefen alle wesentlichen Vorgänge, sowie Personal- und Organisationsentscheidungen.
In der Nach-Wendezeit kamen diese erprobten Seilschaften groß raus. Sie machten gemeinsam Jagd auf alle, die beim Überleben und Aufstieg im Wege standen: Vertreter des Marxismus-Leninismus, höhere SED-Kader und letztlich auch IMs. In der Wahl der Mittel war man nicht zimperlich: Die monopolisierten SED-Akten im Hintergrund ließen sich gewinnbringend für die Manipulation von wichtigen Entscheidungsträgern einsetzen. Deren Wohlverhalten wurde mit sicherem Arbeitsplatz belohnt. Gerüchte über angebliche Zusammenarbeit mit dem MfS wurden gezielt verbreitet, wenn es sich um Personen handelte, die Seilschaftsgenossen in ihren eigenen Karrieren stören konnten. Die Seilschaft konnte sicher sein, dass die Beschuldigten so gut wie keine Chance hatten, die Personalkommission von der Haltlosigkeit der Vorwürfe zu überzeugen. Es dauerte in der Regel einige Jahre, bis Opfer dieser Machenschaften auf dem Wege der Einsicht in die BStU-Akten die Möglichkeit der Rehabilitation erhielten. So wurden in vielen Fällen Opfer des SED-Systems erneut zu Opfern. Internet-Veröffentlichungen der neuen Hochschule (www.fh-zwickau.de – hier unter Pressemitteilungen vom 6.12.2006 / 27.10.2006 / 15.12.2005) berichten ausführlich über die Ehrungen der Hochschulneuerer durch Verleihung von Bundesverdienstkreuz und Ehrenprofessuren.
Klare Erkenntnis bei allen mit Hoffnung auf Überleben war, daß die neue Hochschule mit deutlich weniger Personal ausgestattet sein würde. Das erhöhte den Druck auf diejenigen, die dem alten System allzu sehr gedient hatten. Es kam aber auch zu Solidarisierung unter den Überlebenden. Vor allem in den Fachbereichen, in denen ernsthafte Konkurrenz aus dem Westen auftrat. Hier drohte den Altkadern Gefahr. Hier lag es nahe, sich in den Berufungsverfahren gegen die Wessis zu solidarisieren.

Mehr Informationen finden sich in meinem Buch Nachträgliche Prognose vom Untergang der DDR (ISBN 3-86582-001-8), Redaktionsschluss war allerdings 2004